Köln. Die Schutzschrift des Gläubigers ist in der InsO nicht geregelt. Auch wenn vor der Entscheidung über die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung nur die Anhörung des vorläufigen Gläubigerausschusses gesetzlich vorgesehen ist und nicht die des einzelnen Gläubigers, so ist es wohl anerkannt, dass die Schutzschrift des einzelnen Gläubigers zulässig ist. In der Praxis gibt es institutionelle Gläubiger, die mit Schutzschriften gute Erfahrungen gemacht haben, andere Finanzgläubiger wissen über den gerichtlichen Umgang mit Schutzschriften wenig Gutes zu berichten. Schutzschriften von Gläubigern kommen in der insolvenzgerichtlichen Praxis sehr selten vor und gelten bei maßgeblichen Gläubigern nach einem Abwägungsprozess als letztes Mittel, um im Fall des zu erwartenden Eigenantrags des Schuldners vorsorglich Gehör zu finden und Position zu beziehen. In der anzutreffenden unterschiedlichen Praxis von Gläubigern und Insolvenzgerichten im Umgang mit Schutzschriften kristallisieren sich allerdings Aspekte eines Best Practice heraus. Diese könnten der der InsO unbekannten Schutzschrift sichereren Boden geben und (noch) mehr Akzeptanz erzeugen.
Text: Peter Reuter, INDatReport 5_2019
Bei German Pellets haben sie wohl gefruchtet. Wie dem Bericht der Insolvenzverwalterin zum Berichtstermin am 05.10.2016 in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der German Pellets GmbH zu entnehmen ist, seien im Vorfeld der Insolvenzantragstellung diverse Schutzschriften beim Amtsgericht Schwerin – Insolvenzgericht – eingegangen, die Hinweise auf eine sich anbahnende Kriminalinsolvenz enthalten hätten. »Die Schutzschriften richteten sich überwiegend gegen die Anordnung der Eigenverwaltung«, schreibt die Verwalterin. Im Eigenantrag der Schuldnerin beantragten der Geschäftsführer und der Restrukturierungsgeschäftsführer am 09.02.2016, zusätzlich die Eigenverwaltung anzuordnen. Die beiliegenden Voten eines siebenköpfigen präsumtiven Gläubigerausschusses schlugen zudem einen vorläufigen Sachwalter vor. Das Amtsgericht Schwerin entsprach dem Eigenverwaltungsantrag nicht und ordnete am Folgetag ein vorläufiges Insolvenzverfahren an.
Wie die Praxis generell zeigt, gibt es vor allem drei Gründe für Gläubiger, Schutzschriften bei den Insolvenzgerichten zu hinterlegen (Schutzschriften von Schuldnern werden im Folgenden nicht behandelt): Bei Ablehnung der vorläufigen Eigenverwaltung/des Schutzschirmverfahrens, bei Ablehnung eines möglichen vorläufigen Insolvenzverwalters bzw. für Vorschläge zur Auswahl des vorläufigen Insolvenzverwalters/Sachverständigen sowie für die vorsorgliche Bitte um Aufnahme in den vorläufigen Gläubigerausschuss. Auch weisen Schutzschriften von Gläubigern vereinzelt auf rechtsmissbräuchliche Sitzverlegungen hin oder führen Begründungen von Konzerngerichtsständen an.
Um es vorwegzunehmen: Schutzschriften gehören nicht zu einem Standardinstrument der maßgeblichen Gläubiger, wie die Befragung mehrerer Insolvenzgerichte und institutioneller Gläubiger sowie deren Berater gezeigt hat. Das größte deutsche Insolvenzgericht am Amtsgericht Charlottenburg hat seit Beginn des Jahres 2013 bis Ende Mai 2019 insgesamt 57 Schutzschriften zu verzeichnen, berichten der Sachgebietsleiter Insolvenz RiAG Dr. Johannes Lang und die Dezernatsleiterinnen Rechtspflegerinnen Katharina Krüger und Silke Tussing. Häufig würden Kreditinstitute diese Schriften einreichen. Für das Insolvenzgericht Köln bezeichnet dessen Leiter RiAG Dr. Peter Laroche die Anzahl der eingehenden Schutzschriften von Gläubigern als »äußerst gering«. Sie liege im niedrigen einstelligen Bereich jährlich, dieses Jahr habe man bislang zwei Schutzschriften vermerkt.
Am Insolvenzgericht Hamburg hat RiAG Frank Frind in seiner Zuständigkeit bisher sechs Schutzschriften erhalten, dabei sei es immer seitens maßgeblicher Gläubiger um eine kritische Stellungnahme bis hin zur Ablehnung einer möglichen Eigenverwaltung gegangen, kombiniert mit dem »Antrag«, sich im vorläufigen Gläubigerausschuss engagieren zu wollen. Auch in Düsseldorf ist die von Gläubigern eingereichte Schutzschrift kaum bekannt. Seit Inkrafttreten des ESUG seien weniger als fünf eingegangen, erinnert sich RiAG Frank Pollmächer, Leiter der Insolvenzabteilung, die Absender seien jeweils Banken gewesen. Und das kleinere Insolvenzgericht am AG Ulm kann über keinen Eingang einer Schutzschrift berichten, teilt Abteilungsleiter RiAG Dr. Benjamin Webel mit. Teilweise hätten sich aber im Vorfeld Gläubiger telefonisch gemeldet und Bedenken gegen eine etwaige Eigenverwaltung angemeldet.
Auch Vertreter maßgeblicher Finanzgläubiger bestätigen ihren zurückhaltenden Einsatz von Schutzschriften. Ihre Erfahrungen, wie Insolvenzgerichte mit den hinterlegten Schutzschriften verfahren sind, was die Reaktion bei Eingang per Fax bzw. als Brief und die Berücksichtigung bei der späteren Anordnungsentscheidung betrifft, sind aber ganz unterschiedlich. Innerhalb von Konsortien habe man vereinzelt ausführliche Schutzschriften hinterlegt, berichtet Matthias Braun, Leiter Abwicklung Corporates und Privatkunden der Bayerischen Landesbank. Das sei immer in Briefform erfolgt, einen Eingang habe das betreffende Gericht allerdings nie bei ihnen bestätigt. »Mit diesen Schutzschriften sollten jeweils vorläufige Eigenverwaltungsverfahren und des Weiteren vom Berater angedachte Insolvenzverwalter verhindert werden.« Die Frage, ob man später vor der Anordnungsentscheidung angehört oder kontaktiert worden ist oder man glaubt, dass der Inhalt der Schutzschrift in der Entscheidung für die Verfahrensanordnung Berücksichtigung gefunden hat, verneint Braun.
Die Abteilung Firmeninsolvenz Deutschland Medium/Large der Commerzbank AG habe bislang drei Schutzschriften hinterlegt, erklärt deren Leiter Dr. Karl Beck. »Es ging dabei in zwei Fällen um die Verhinderung eines Eigenverwaltungsverfahrens, weil wir zum Ergebnis kamen, dass das vorhandene Management hierzu ungeeignet wäre – mangelnde Vertrauenswürdigkeit und Qualifikation, der Verdacht, hierdurch lediglich auf dem driver seat bleiben zu wollen. « In beiden Fällen sei eine Eingangsbestätigung ausgeblieben. Die Insolvenzgerichte hätten sich dann für die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung entschieden, ohne in der Begründung auf die Schutzschriften einzugehen.
Von überwiegend positiven Erfahrungen weiß dagegen RA Thomas Harbrecht, Mitglied der Direktion des Kreditversicherers Euler Hermes, zu berichten. »Ganz überwiegend hat uns das Gericht fernmündlich angehört. In allen Fällen wurden unsere Anregungen berücksichtigt. « Man habe erreicht, dass vor Anhörung des Gläubigerausschusses keine Eigenverwaltung angeordnet wurde, denn die angekündigten Verfahren seien für eine Eigenverwaltung nicht geeignet gewesen. Weiter habe man vor der Bestellung eines Verwalters angehört werden wollen und angeboten, sich im Gläubigerausschuss zu engagieren. Und er fügt hinzu: »Wir setzen die Schutzschrift nur gezielt und sehr sparsam ein. Wir haben im vergangenen Jahr insgesamt fünf Schutzschriften eingereicht.«
Vorherige Kontaktaufnahme mit dem Gericht kann sich lohnen
In den allermeisten Fällen habe man Schutzschriften für Finanzgläubiger bei den Insolvenzgerichten hinterlegt, sagt RA/Partner Mike Danielewsky von DLA Piper UK LLP, die wiederum ein Interesse daran gehabt hätten, in Krisensituationen ihrer Schuldner bereits frühzeitig die Anordnung einer Eigenverwaltung zu verhindern.
Regelmäßig sei die Beziehung zu den handelnden Organen gestört und das Vertrauen in die Verantwortlichen nachhaltig beschädigt gewesen. Häufig sei die Schutzschrift mit der Anregung verbunden, eine aus mehreren vorgeschlagenen Personen zum vorläufigen Verwalter zu bestellen. »Regelmäßig raten wir unseren Mandanten dazu, die Bereitschaft, als Mitglied eines vorläufigen Gläubigerausschusses zur Verfügung zu stehen, dem Gericht frühzeitig mitzuteilen.« Auch empfiehlt er, zuvor mit dem zuständigen Richter Kontakt aufzunehmen. »Diese Vorgehensweise war in allen bisherigen Fällen an unterschiedlichen Gerichten verteilt über das ganze Bundesgebiet erfolgreich. Mitunter äußern die Richter im Zuge der direkten Kontaktaufnahme konkrete Anregungen zum notwendigen Inhalt einer Schutzschrift.« Auch RAin/Partnerin Andrea Metz (Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH) berichtet, dass ihre Kanzlei für Hauptgläubiger/Banken Schutzschriften erstellt hat, die auf die Verhinderung einer zu erwartenden Eigenverwaltung (z. B. bei im Raum stehenden unlauteren Praktiken der Geschäftsleitung) und der Abwehr vor befürchteter Einsetzung eines bestimmten Verwalters, mit dem man schlechte Erfahrungen gemacht hatte, sowie auf die Mitwirkung im Gläubigerausschuss abzielten.
Taktisch überlege man jeweils, ob man die Schutzschrift persönlich beim zuständigen Richter abgibt oder die per Telefax/ Brief eingereichte Schutzschrift vorher beim Gericht ankündigt. Einen persönlichen Kontakt bzw. einen Anruf bei Gericht vor Absenden der Schutzschrift hält auch Andreas Dörhöfer, Credit Risk Management der Deutschen Bank AG, vor der Einreichung der Schutzschrift für empfehlenswert, ergänzt aber, dass sein Haus mit dem Thema Schutzschrift so gut wie keine Berührungspunkte habe, da man sich in aller Regel nicht in die Auswahl des vorläufigen Verwalters bzw. des vorläufigen Gläubigerausschusses einbringe. Daher abstrakt mit diesem Thema beschäftigt glaube er, dass ein Vorgespräch mit dem Gericht helfen könne, Klarheit darüber zu schaffen, welche Punkte tatsächlich in der Schrift vorgebracht werden sollten, und dass das Vorgespräch die rechtzeitige Beachtung der Schutzschrift sicherstellt.
Neben den Kreditinstituten und Kreditversicherern gibt es eine weitere Gläubigergruppe, die vor allem in größeren Insolvenzverfahren eine bedeutende Rolle spielt und hin und wieder von Schutzschriften Gebrauch macht: die der Anleihegläubiger. Sieben Mal hat RA Christian H. Gloeckner, Partner der G&P Gloeckner Fuhrmann Nentwich Bankel Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, der auch Vorsitzender des VGVD – Verband Gemeinsamer Vertreter Deutschland e. V. ist, Schutzschriften für Anleihegläubiger bei Insolvenzgerichten hinterlegt. »Das war aus meiner Sicht dann geboten, wenn im Vorfeld mit der Emittentin und insbesondere ihrem CRO kein Konsens über anzustrebende Sanierungsmaßnahmen unter Einbeziehung der in der Regel besicherten Kreditinstitute gefunden werden konnte oder es aus begründetem Anlass Zweifel gab, in die Belastbarkeit der Planungen der Schuldnerin und den informell avisierten Verfahrensgang vertrauen zu wollen und zu dürfen. «
Der Einsatz einer insolvenzrechtlichen Schutzschrift sei zwar überschaubar, sie ermögliche es aber, das Gericht mit sinnvollem Sonderwissen über den (außergerichtlichen) Verfahrensstand des Verhältnisses der Schuldnerin zu ihren Gläubigern auszustatten. Der informierte Gläubiger kenne den Schuldner seit geraumer Zeit und könne einschätzen, wie (wenig) belastbar die Auskünfte und Prognosen der Geschäftsführung in der Vergangenheit waren. Für Frind waren die bei ihm eingegangenen Schutzschriften hilfreich, weil sie ihm Hinweise auf die kommenden Insolvenzverfahren lieferten.
Vom AG Charlottenburg heißt es, dass durch diese Ausführungen »Umstände« i. S. d. § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO bekannt geworden seien. Den Erkenntnisgewinn ordnet Laroche zurückhaltender ein: »Ein Fall, bei dem die Schutzschrift entscheidende neue Erkenntnisse gebracht hat, die das Gericht nicht auch anderweitig erhalten hat oder hätte, ist mir nicht bekannt. Selbstverständlich ist der Inhalt der Schutzschriften jeweils in die Entscheidungsfindung eingeflossen.«
Von einem Fall im Anleihekontext berichtet Gloeckner, bei dem die Eigenantragswahrscheinlichkeit »spürbar erhöht« gewesen war und sich die Vorpositionierungen des Unternehmens auf eine beabsichtigte Eigenverwaltung haben schließen lassen. »Die mit dem ESUG explizit zulässige Eigenantragsgestaltung mit einem Vorschlag des vorläufigen Insolvenzverwalters oder Sachwalters wird gerne durch einen bereits ebenfalls vorgeschlagenen vorläufigen bzw. präsumtiven Gläubigerausschuss flankiert – eben um ggf. auf diesem Weg auch die Bestellung des vorläufigen Sachwalters abzusichern.
In diesem Fallbeispiel hatte ich zusätzlich eine gesteigerte Besorgnis unzulässiger, aber in der Praxis manchmal anzutreffender Vorabsprachen. Mittels der Schutzschrift konnte die personelle Zusammensetzung des tatsächlich im Antrag vorgeschlagenen Gläubigerausschusses beeinflusst werden. Der dann berufene vorläufige Gläubigerausschuss hat sich nach Sachprüfung gegen die beantragte Eigenverwaltung ausgesprochen.« In seinen Fällen, berichtet Gloeckner, habe es Rückmeldungen von Richtern wie Geschäftsstellen gegeben, die »durchblicken« ließen, dass eine Schutzschrift in der Insolvenzgerichtsbarkeit schon mangels struktureller Gegebenheiten – Aktenregistratur, Gläubigerabfrage etc. – nicht gerne gesehen werde.
»Eine Ablehnung, Zurücksendung oder sonstige finale Abweisung ist mir aber nicht bekannt. Selbstverständlich kann ich eine vorsätzliche Nichtbeachtung oder unwissentliche Nichtbeachtung von Schutzschriften nicht ausschließen – die Verfahren entwickeln sich nicht immer im Interesse des Beraters –, jedoch habe ich hierüber weder bestätigende Erkenntnisse, noch liegen mir Indizien vor, die einen Rückschluss hierauf möglich erscheinen lassen.«
Die Schutzschrift des Gläubigers ist bekanntermaßen in der InsO nicht geregelt, für Form und Inhalt gibt es keine allgemeinverbindlichen Vorgaben. Der Adressat der Schutzschrift ist aber immer das Insolvenzgericht und nach Meinung der Insolvenzabteilung des Kölner Amtsgerichts nicht das zentrale Schutzschriftregister.
»Das AG Köln geht – entgegen der jüngst von Kunz/Weiß in ZIP 2019, 908 ff. geäußerten Rechtsauffassung – davon aus, dass die Norm des § 945 a ZPO auf das Insolvenzverfahren nicht über § 4 InsO entsprechend anwendbar ist.« Es könnten somit Schutzschriften zur Verteidigung in Insolvenzverfahren nicht mit Wirkung für das Insolvenzverfahren beim zentralen Schutzschriftenregister eingereicht werden. Bereits die Legaldefinition des § 945 a Abs. 1 Satz 2 ZPO (»Verteidigungsschriftsätze gegen erwartete Anträge auf Arrest oder einstweilige Verfügung«) passe nicht, betont Laroche. Vielmehr gelte für Hauptsacheverfahren nach ZPO – wie das Insolvenzeröffnungsverfahren eines ist – § 945 a ZPO gerade nicht.
Der Vortrag in der Schutzschrift müsse schon substanziiert erfolgen, hebt Webel hervor. Würde allerdings ein großer Stakeholder erklären, er lehne eine Eigenverwaltung ab, dann reiche diese Äußerung schon aus, um die Eigenverwaltung nicht anzuordnen. »Man braucht also nicht allzu viel Begründung.« Schutzschriften nehme er sehr ernst, da ohne Gläubiger keine Eigenverwaltung möglich sei.
»Abzulehnen ist eine Eigenverwaltung, wenn bereits bekannt ist, dass wichtige Geld- oder Kreditgeber oder Lieferanten nicht bereit sind, mit der bisherigen Geschäftsführung eine Sanierung zu betreiben (AG Köln ZIP 2013, 1390 f.).« Das gelte auch, wenn diese Gläubiger mit einer neuen Geschäftsleitung keine Eigenverwaltung begehen wollen. Gläubigervertreter Danielewsky plädiert für einen sehr substanziierten Vortrag, er würde dringend zur ausführlichen Stellungnahme raten. »Wir führen konkret aus, an welchen gesetzlichen Voraussetzungen ein Antrag auf Eigenverwaltung scheitert.«
Bei »Buchstabenverteilungsgerichten« seien in Konzernsachverhalten u. U. unterschiedliche Richter zuständig, je nach dem, welches Tochterunternehmen zuerst Insolvenzantrag stellt, führt Frind an. Die Schutzschrift sollte daher die Namen aller möglicherweise betroffenen Unternehmen benennen, ideal sei ein Organigramm.
Für Harbrecht sollte die Schutzschrift »kurz und prägnant« das Anliegen bzw. die Bedenken gegen einen erwarteten Antrag/ eine konkrete Anordnung erläutern. »In der Regel liegt uns bereits die offizielle Anfrage eines Vertreters der insolvenzgefährdeten Firma vor, sodass wir darauf Bezug nehmen können. Die Schutzschrift ist dann ›das letzte Mittel‹, da wir natürlich bei einer direkten Ansprache auch den direkten Kontakt suchen und unsere Bedenken unmittelbar gegenüber der Firma vorbringen.« Wenn dies nicht der Fall sei und die Firma ihre Strategie mit Euler Hermes nicht im Vorfeld abstimmen wolle, »muss der Hintergrund dem Gericht natürlich ausführlicher erläutert werden«. Dabei stehe die Belastbarkeit der Ankündigung einer Insolvenz gegenüber Dritten immer im Vordergrund, betont Harbrecht. »Wenn wir uns nicht hinreichend sicher sind, dass der Antrag kommt, verzichten wir auf die Einreichung einer Schutzschrift.«
Schutzschriften müssten dem Gericht schon eine ausreichende Grundlage zu einer Entscheidung bieten, meint Beck. »Insofern ist tiefer in den Sachverhalt einzusteigen. Das Gericht hat sich ohnehin mit dem konkreten Fall zu beschäftigen. Banken sollten aber nicht die Ersten sein, die auf ein Gericht zugehen und einen dort noch völlig unbekannten Fall schildern.« Erst wenn klar sei, dass ein Fall anhängig werden würde oder bereits sei, sei an eine Schutzschrift zu denken.
Schutzschriften können das Bankgeheimnis verletzen
Die Anforderungen, wie das Bankgeheimnis bei Schutzschriften zu beachten ist, gelten im Übrigen als kaum durchleuchtet, sodass Braun persönlich von der Hinterlegung einer Schutzschrift abrät. Eine Verletzung des Bankgeheimnisses könne nie ausgeschlossen werden, vor allem dann, wenn wider Erwarten doch kein Eigenantrag gestellt wird. Daher sei für ihn der bessere Weg, den den Antrag vorbereitenden Berater davon zu überzeugen, das Regelverfahren zu beantragen oder einen persönlichen Kontakt mit dem Gericht zu suchen, um darzulegen, dass die Bank eine Eigenverwaltung nicht unterstützen, z. B. keinen Massekredit gewähren werde.
Hingegen betrachtet Danielewsky das Bankgeheimnis zumeist nicht als Hindernis, »da die vertraglichen Regelungen aufgrund begangener Pflichtverletzungen des potenziellen Insolvenzschuldners eine derartige Rechts- bzw. Interessenverfolgung im Interesse unserer Mandanten zulassen und das Rechtsschutzbedürfnis unserer Mandantin hier vorzugswürdig ist«. Nach Meinung Frinds sollte die Schutzschrift schon die derzeitige Forderung bzw. Sicherung des jeweiligen Gläubigers substanziiert benennen. »Eine Verletzung des Bankgeheimnisses besteht m. E. bei Mitteilung gegenüber ihrerseits wiederum zur Verschwiegenheit verpflichteten Stellen wie eben Gerichten nicht.« Der Vortrag müsse so umfassend sein, dass es dem Gericht eine vollständige und unabhängige Beurteilung der Sach- und Rechtslage erlaube, sagt Metz. Das sei auch ohne Verletzung von Geheimhaltungspflichten hinreichend möglich.
Zur Gläubigerstellung würden sich die Angaben auf Größenordnungen und Sicherungsrechte beschränken lassen (z. B. einer der größten grundpfandrechtlich gesicherten Gläubiger oder voraussichtlich größte ungesicherte Gläubigerin).
Neben dem Bankgeheimnis sollte in den Abwägungsprozess der Gläubiger auch einfließen, inwieweit sie der dokumentierte Inhalt einer Schutzschrift bei einer späteren Insolvenzanfechtung belasten könnte. Erfahrungsgemäß seien die Risiken der (Vorsatz-)Anfechtung zu einem Zeitpunkt, in dem die Sinnhaftigkeit einer Schutzschrift bewertet wird, nicht ausschlaggebend bzw. werden diese durch eine Involvierung auf verfahrensrechtlicher Ebene nicht verstärkt, meint Gloeckner. »Sofern mit einer Schutzschrift die (erstmalige) Dokumentation von Kenntnissen i. S. d. § 133 Abs. 1 InsO erfolgt, wäre im Zweifel abzuraten.« Diese Konstellation sei jedoch für den Anleihegläubiger (leider) selten, da er in praxi als anonymer Gläubiger als Erster nichts mehr von der Schuldnerin bekommen habe, was anzufechten wäre. »Nachteilig bei einer Schutzschrift ist, dass die Mandantin frühzeitig ihre Interessen offenlegen und in einer gerichtlichen Akte dokumentieren muss«, bemerkt Metz. Die Kenntnis eines Insolvenzgrunds erscheine eher zweitrangig, »da wir generell raten, eine Schutzschrift zum spätestmöglichen Zeitpunkt einzureichen, um die eigene Positionierung so spät wie möglich zu offenbaren.« Zu diesem Zeitpunkt lägen zumeist aus anderen Gründen schon hinreichende Beweisanzeichen für eine insolvenzanfechtungsrechtlich schädliche Kenntnis vor.
Welche Anforderungen an das Vorbringen in der Schutzschrift gestellt werden und wie das weitere Verfahren gestaltet wird, betonen Lang, Krüger und Tussing, entscheide der zuständige Richter in Ausübung seiner richterlichen Unabhängigkeit »unter besonderer Berücksichtigung des jeweiligen Einzelfalls«. Der Gläubigerwunsch werde vom jeweiligen Entscheider in die Entscheidungsfindung einbezogen, betont Pollmächer, eine Leitlinie existiere nicht und könne es nicht geben, da die richterliche Unabhängigkeit tangiert sei.
Die gerichtsinternen Abläufe, damit der zuständige Adressat die Schutzschrift rechtzeitig erhält, erfolgt nach selbst auferlegten Regeln des jeweiligen Insolvenzgerichts, wie diese erläutern. BAKinso-Vorstandsmitglied Frind empfiehlt, dass die Schutzschrift als Sonderband (AR-Sache) unverzüglich – keine Umlaufliste – alle Richter des Insolvenzgerichts erreicht, die betroffen sein könnten.
»Das ist nicht immer sichergestellt, wie Fälle aus der Praxis zeigen. « Seiner Meinung nach sollte das Insolvenzgericht unbedingt vor verfahrensleitenden Entscheidungen mit den jeweiligen Schutzschriftverfassern Kontakt aufnehmen. Eine vorherige Eingangsbestätigung sei zudem sehr sinnvoll. Auch hält es Frind für denkbar, dass das Gericht die jeweiligen Gläubiger(vertreter) kontaktiert, um den Sachstand (z. B. noch kein Antrag eingegangen) mitzuteilen. In einem Telefonat könnten auch weitere Fragen zu den Hintergründen geklärt werden.
Telefonat mit Schutzschriftgläubiger - unzulässige Amtsermittlung?
»Der Umgang mit Schutzschriften ist, wie man hört, von Gericht zu Gericht sehr unterschiedlich«, sagt Frind, »zuweilen auch innerhalb eines Gerichts.« Es gebe zum einen die Praxis nach dem Motto »eher nachfragen/ermitteln« und zum anderen die Praxis »eher durchwinken«. »Vertreten wird beispielsweise, dass ein Telefonat mit dem Schutzschriftgläubiger unzulässige Amtsermittlung sei, weil nach § 270 a Abs. 1 InsO nur ›offensichtlich aussichtslose‹ Eigenverwaltungsanträge abgelehnt werden dürften und diese Kenntnisbasis dürfe vom Gericht nicht selbst ›erweitert‹ werden.
Das halte ich bei an das Gericht herangetragenen Ersuchen für abwegig.« Teilweise würden Schutzschriften auch schlicht ignoriert, »dies dürfte § 291 ZPO und der amtswegigen Ermittlung zur richtigen Zusammensetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses sehr widersprechen«.
Beim Düsseldorfer Insolvenzgericht werden Schutzschriften im AR-Register eingetragen. Da man alle Insolvenzverfahren im Turnussystem erfasst, erhalten die AR-Sachen auch turnusgemäß eine Zuordnung zu einer Insolvenzabteilung, diese ist dann auch später für das Verfahren zuständig. Schutzschriften hätten eine »ewige« Gültigkeitsdauer, sagt Pollmächer. Auch in Köln erhält die Schutzschrift ein AR-Aktenzeichen und wird unter dem Namen des potenziellen Schuldners erfasst, führt Laroche aus, was sicherstelle, dass die Akte bei Eingang eines Verfahrens dieses Schuldners dem zuständigen Richter vorliegt. Parallel erhielten nach Erfassung der Schutzschrift alle Richter diese zur Kenntnis. Eine »Gültigkeit« der Schutzschrift im engeren Sinne, etwa wie bei § 945 a Abs. 2 Satz 2 ZPO, existiere nicht. Allerdings ergebe sich eine faktische Löschung aus den Aufbewahrungsfristen nach der AufbewahrungsVO NRW. Für Schutzschriften in der ordentlichen Gerichtsbarkeit betrage diese Aufbewahrungsfrist aktuell ein Jahr. Der weitere Umgang mit der Schutzschrift richtet sich beim AG Köln nach dem Inhalt des Einzelfalls – das betreffe auch die mögliche Kontaktaufnahme mit dem Einreicher vor der zu treffenden Entscheidung.
Auch das AG Charlottenburg – es praktiziert die Buchstabenzuordnung bei der Verfahrenszuteilung – registriert die Schutzschrift als AR-Sache. Bis vor Kurzem hatte der jeweils zuständige Richter entschieden, ob eine Eingangsbestätigung erfolgt. Neuerdings erteilt die Geschäftsstelle des AG Charlottenburg jedem Einreicher einer Schutzschrift eine Eingangsbestätigung. Beim AG Ulm hingegen gibt es kein Register, aber eine Eingangsbestätigung. Die Schutzschrift kommt dann in den Umlauf der Richter und Rechtspfleger. Schutzschriften würden nur bei Berücksichtigung Teil der Akte, sagt Webel.
Für Gläubiger stellt sich die generelle Frage, die sich in einem Vorgespräch beim Gericht abklären ließe, ob die Schutzschrift später in die für alle Gläubiger einzusehende Insolvenzverfahrensakte gelangt oder nicht. »Wir regen vorsorglich immer an, die Schriften in einem der Akteneinsicht nicht zugänglichen Sonderband bzw. in einer separaten AR-Akte vertraulich zu verwahren«, sagt Harbrecht.
Ein Grundsatz, den wohl alle maßgeblichen Gläubiger so sehen würden: Das Einreichen einer Schutzschrift sollte nicht ins Blaue hinein stattfinden, sondern erst, wenn hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Schuldner ggf. ein Eigenverwaltungsverfahren vorbereiten könnte. »Die Situation, bei der es zur Einreichung einer Schutzschrift kommt, ist aber zumeist so, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Schuldner und Gläubiger ohnehin relativ stark gestört ist und der Gläubiger bereits das Zutrauen in die Kompetenzen der Geschäftsführung des Schuldners verloren hat«, erläutert Danielewsky. »Es kann aus taktischen Erwägungen durchaus Sinn ergeben, als Gläubiger abzuwarten und nicht bereits eine unnötige Dokumentationslage zu schaffen oder auch die Atmosphäre zu vergiften, indem ein Gläubiger auch im Konzert mit anderen Gläubigern vorprescht, ohne zunächst einmal die Interessenlage der anderen Gläubiger zu verstehen.«
Fazit
Die Schutzschrift von Gläubiger bei sich anbahnenden Insolvenz(eigen)anträgen gilt als Ultima Ratio nach einem wohlüberlegten Abwägungsprozess, der bei Kreditinstituten das Bankgeheimnis mit einschließt. Als besonders nützlich können sich Vorgespräche mit dem Insolvenzgericht vor Einreichen der Schutzschrift erweisen, sodass der Gläubiger bzw. dessen Berater Hinweise zu der vom jeweiligen Insolvenzgericht erwarteten Form und notwendigem Inhalt erhält und der richtige Adressat sowie der Erhalt sichergestellt sind. Bei den Insolvenzgerichten scheint das Anlegen einer AR-Akte geübte Praxis, auch die Eingangsbestätigung wird häufig als selbstverständlich betrachtet. Über die Gültigkeitsdauer der Schutzschrift gibt es verschiedene Auffassungen wie auch zu der Frage, ob die Schutzschrift später Teil der für alle Beteiligten zugänglichen Verfahrensakte wird. Ob der Richter über den Vortrag in der Schutzschrift hinaus den Gläubiger vor der Entscheidung kontaktiert, unterliegt der einzelfallbezogenen Abwägung des zuständigen unabhängigen Richters. Während die einen das Nachfragen auf der Basis der in der Schutzschrift getätigten Mitteilung als zweckdienlich und notwendig erachten, stufen andere diese Vorgehensweise als unzulässige Amtsermittlung ein.
Auch hier könnte das vom maßgeblichen Gläubiger gesuchte Vorgespräch mit dem Gericht Antworten liefern, das im Übrigen bei den zersplitterten ESUG-Usancen von über 180 Insolvenzgerichten häufig Anwendung fand und noch findet – warum sollte man es bei der Schutzschrift also nicht auch zur Praxis machen? «